Geschlechtergerechte Sprache in der Berufsorientierung
Kaum ein Thema wird so heiß diskutiert wie das Gendern. Mit unseren Workshops erreichen wir viele junge Menschen, die sich aktiv mit ihrer beruflichen Zukunft und Identität beschäftigen. Sollte Sprache tatsächlich unser Denken beeinflussen, sind wenige Worte ein unheimlich mächtiges Werkzeug. In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, welchen Einfluss eine geschlechtergerechte Sprache auf die Berufsorientierung hat.
Möglichst viele Menschen sollen am Arbeitsleben teilhaben. Das wollen Menschen, das will die Wirtschaft, das fördert der Staat und das wollen wir. Nicht zuletzt um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken. Aber auch weil alle Menschen aufgrund ihrer Lebenslage völlig unterschiedliche Chancen am Arbeitsmarkt haben. Bestimmte Menschen haben strukturell einen Nachteil. Seltener ist in dem Kontext die Rede von Geschlechtern, sondern eher z.B. von Menschen mit Behinderung oder Fluchterfahrung. In diesem Artikel beschäftigen wir uns ausschließlich mit Geschlechtergerechtigkeit.
Im Kern geht es bei der Berufsorientierung und der Teilhabe an der Arbeitswelt um zwei Themen: Die Volkswirtschaft und das Wohlbefinden einzelner Menschen. Wenn wir uns die Frage stellen, ob gendern in unseren Workshops zu mehr Gerechtigkeit führt, beschäftigen wir uns in letzter Konsequenz auch mit der Frage, ob wir dadurch die Volkswirtschaft stärken und Menschen zufriedener machen können.
Was bewirkt Gendern in der Berufswahl?
Tatsächlich gibt es bereits zahlreiche Studien, die sich mit dem Gendern und der Berufswahl beschäftigt haben. Bereits 1973 liefert die Studie „Does sex-biased Job Advertising „Aid and Abet“ Sex Discrimination?“ [1] Erkentnisse, dass die Sprache in Stellenanzeigen einen Einfluss darauf hat, wie viele Personen eines bestimmten Geschlechts sich auf einen Job bewirbt oder nicht. Aus einer weiteren Studie [2] geht hervor, dass auch die Wahrnehmung von Kompetenzen an die Formulierungen einer Stellenanzeige gekoppelt sind. Dabei wird deutlich, dass vor allem Frauen strukturell im Nachteil sind. Wenn also beispielsweise eine Stellenanzeige im generischen Maskulinum geschrieben ist, bewerben sich weniger Frauen auf eine solche Stellen. Von Personalverantwortlichen werden Frauen im Bewerbungsprozess auf eine solche Stelle als weniger kompetent wahrgenommen.
Gendern macht Kinder in der Berufswahl mutiger
Glücklicherweise beschäftigt sich eine der bekanntesten Studien [3] zum Thema Gendern mit der Berufswahl von Kindern. In einem Experiment wurden 600 Grundschulkindern verschiedene Berufe vorgestellt. Einer Gruppe wurden die Berufe geschlechtsneutral präsentiert (z.B. „Polizist und Polizistin“). In einer anderen Gruppe wurden sie im generischen Maskulinum formuliert (z.B. „Polizist“).
Das Ergebnis der Studie ist, dass typische „Männerberufe“ häufiger von Mädchen gewählt werden und typische „Frauenberufe“ häufiger von Jungen, wenn die Berufsbezeichnung beide Geschlechter adressiert. Das Gendern kann Kinder also tatsächlich dazu ermutigen, sich für mehr Berufsbilder zu öffnen. Außerdem wird ein weiterer spannender Effekt festgestellt: Wenn Berufe geschlechtsneutral formuliert werden, schätzen Kinder die Berufe als weniger wichtig und schlechter bezahlt ein, als wenn sie im generischen Maskulinum formuliert werden. Die Einschätzung von Kompetenzen und dem sozialen Status weiblicher Personen könne durch das Gendern gesteigert werden. Dieses Effekte werden durch eine weiterführende Studie verifiziert [4]
Was spricht gegen das Gendern?
Laut einer Umfrage von Infratest Dimap [5] lehnen fast zwei Drittel der befragten Deutschen das Gendern ab. Mehr als ein Drittel der Befragten würde ein gesetzliches Verbot des Genderns „eher begrüßen“. Im Wesentlichen wird der Einfluss des Genderns auf reale Verhältnisse in Frage gestellt. Einerseits wird angenommen, dass mit dem generischen maskulinum alle Geschlechter „gemeint“ sind. Andererseits wird angenommen, dass sich Sprache auf natürlichem Wege entwickle und somit auf eine Veränderung der Realität reagieren würde. Die natürliche Entwicklung von Sprache würde durch das Gendern manipuliert werden. Die Verständlichkeit und Lesefreundlichkeit von Sprache und Texten werde durch das Gendern gemindert. Außerdem wird kritisiert, dass das Gendern Geschlechter zu sehr betont. Und zwar auch dann, wenn das Geschlecht gar keine Rolle spielt. Unterschiede könnten dadurch noch mehr in den Vordergrund rücken.
Lebensrealität und Reaktanz
Das Gendern geht an der Lebens- und Sprachwirklichkeit vieler Menschen vorbei. Das Institut für Generationenforschung ist in einer bundesweiten Studie [6] der Frage nachgegangen, wer das Gendern eigentlich befürwortet. Dabei wird deutlich, dass die Debatte vor allem von westdeutschen weiblichen Akademikerinnen unterstützt wird. Diese Tatsache ändert zwar nicht die Wirkung des Genderns, sondern deckt vielmehr auf, wie schwer zugänglich das Thema ist und warum es bei einem Großteil von Deutschlands Bevölkerung eine emotionale Abneigung auslöst. Denn die Sternchen, Pausen, Passivkonstruktionen und politischen Statements lösen in vielen Menschen Reaktanz, also eine Abwehrreaktion als Widerstand gegen Einschränkungen, aus. Viele Menschen fühlen sich durch das Gendern bevormundet und Diskussionen zu sehr politisch aufgeladen. Schade, denn eine Polarisierung der Gesellschaft widerspricht dem eigentlichen Zweck des Genderns.
Wir brauchen eine klischeefreie Berufsorientierung
Veränderung beginnt im Kopf. Die Probleme der Chancengleichheit am Arbeitsmarkt werden durch unsere Sprache mit dem generischen maskulinum reproduziert. Das betrifft alle Geschlechter. Denn die Botschaft einer Berufsbezeichnung, in der nur ein Geschlecht adressiert ist (z.B. Putzfrau oder Feuerwehrmann) beschränkt Menschen in ihrer Sichtweise nachweislich.
Vielleicht ist Ihnen beim Lesen dieses Artikels aufgefallen, dass wir bis hierhin nicht einmal den Gender:doppelpunkt verwenden mussten. Gendergerechte Sprache funktioniert auch ohne die Benennung der Geschlechter, was offensichtlich viele Menschen stört. Wir versuchen einen Spagat. Einerseits würdigen wir die sinnvollen Handlungsempfehlungen zahlreicher Studien, indem wir das generische Maskulinum möglichst vermeiden. Und andererseits wollen wir die Debatte entschärfen, indem wir neutrale Formen (z.B. die Studierenden statt die Student:innen) verwenden oder das Geschlecht einfach ganz weg lassen (z.B. die Teilnehmenden).
Fazit: Die Sprache unserer Workshops
Viele Jugendliche sind unsicher bei ihrer Berufswahl und folgen sicherheitshalber den Geschlechterklischees, die sie verinnerlicht haben. Deswegen konzipieren wir unsere Workshops so, dass sie möglich frei von Klischees sind und die Teilnehmenden in ihren Stärken und Interessen ermutigen. Das erfordert mehr als eine geschlechtergerechte Sprache der Coaches. Das Gendern ist ein mächtiges Werkzeug, um eine von vielen Herausforderungen unserer Arbeitswelt zu bewältigen. Es hat Tücken, kann polarisieren und die Einfachheit unserer Sprache mindern. Es kann aber auch Menschen dazu ermutigen weitere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Und so kommen wir zu dem Ergebnis, dass unsere Coaches sensibel für eine geschlechtergerechte Sprache sein sollen, aber nicht gendern müssen.
Quellen
[1]: Sandra L. Bem, Darlyn J. Bem (1973): Does Sex-biased Job Advertising “Aid and Abet” Sex Discrimination? [Link]
[2]: Lisa Kristina Horvath, Sabine Sczesny (2015): Reducing Women’s Lack of Fit with Leadership? Effects of the Wording of Job Advertisements [Link]
[3]: Dries Vervecken, Bettina Hannover (2015): Effects of Gender Fair Job Descriptions on Children’s Perceptions of Job Status, Job Difficulty, and Vocational Self-Efficacy[Link]
[4]: Lisa Horvath, Elisa F. Merkel, Anne Maass, Sabine Sczesny (2016): Does Gender-Fair Language Pay Off? The Social Perception of Professions from a Cross-Linguistic Perspective [Link]
[5]: infratest dimap (2021): Weiter Vorbehalte gegen gendergerechte Sprache [Link]
[6]: Rüdiger Maas (2021): Umfrage zum Gendern in Deutschland: Genderbefürworter und Gendergegner [Link]