Die Entwicklung der Arbeitswelt
Wer die Arbeitswelt von Morgen verstehen möchte, muss sich auch mit der Vergangenheit beschäftigen. Denn nur so können wir uns ein Bild davon machen, welche Entwicklungsschritte bis heute nötig waren. In diesem Beitrag schauen wir uns die wichtigsten Meilensteine menschlicher Arbeit an. Unsere Geschichte beginnt vor sechs Millionen Jahren.
Die Erde gibt es seit etwa 4.600.000.000 Jahren [1]. Vor etwa 3.500.000.000 Jahren ist das erste Mal Leben entstanden. Erst waren es mikroskopisch kleine Lebewesen und später waren es gigantisch große Dinosaurier. Und vor gerade einmal 6.000.000 Jahren sind die ersten Menschen entstanden [2]. Das sind große Zahlen, die noch interessanter werden, wenn du nach diesem Artikel hier die gesamte Menschheitsgeschichte kennst [Tempo des Wandels]. Ein genaues Datum für den Beginn der Menschheit lässt sich nicht festlegen. Denn die Entwicklung des Menschen hört nicht auf. Wir Menschen haben uns im Laufe der Geschichte nicht nur selbst verändert, sondern auch unsere Umgebung und die Art und Weise wie wir uns untereinander organisieren – und das schauen wir uns jetzt genauer an.
Jäger und Sammler
Vor 2.000.000 Jahren entwickeln Menschen Werkzeuge und entdecken das Feuer. Sie mussten Jagen und Nahrung aus der Natur sammeln, um zu überleben. Als Nomaden sind sie immer wieder an einen neuen Ort gezogen, um genug Essen zu finden. Häufig waren die Jäger und Sammler in Gruppen aus 30-40 Menschen unterwegs. Damit die Nahrungssuche und das Zusammenleben einfacher wird, haben die Gruppen sich immer wieder aufgeteilt oder sie schlossen sich mit neuen Gruppen zusammen. Mit ihren Erfindungen konnten sie ihr Essen kochen, Tiere jagen und sogar Meere überqueren. Sie lebten in Höhlen, unter Felsvorsprüngen und selbstgebauten Zelten.
Wie der Name „Jäger und Sammler“ schon sagt, haben die Menschen damals auch als Jäger und Sammler gearbeitet. Sie besorgten ihr eigenes Essen, bauten ihre Zelte auf, haben ihren Nachwuchs versorgt, Wunden verheilt und Werkzeuge gebaut. Jeder Mensch tat einfach das was er gut konnte. Aber vor etwa 12.000 Jahren hat sich mit der neolithischen Revolution vieles verändert.
Die Agrargesellschaft
Als die Menschen angefangen haben ihr eigenes Essen anzubauen und Tiere in Ställen zu züchten, waren sie an einen Ort gebunden. Dort wohnten sie in Häusern, die sie sich häufig mit vielen Menschen und Tieren teilten. Diese Veränderung nennt man „neolithische Revolution“. Dass man heute von einer „Revolution“ spricht, ist etwas irreführend. Denn die Menschen waren nicht plötzlich alle sesshaft. Über Jahrtausende hinweg organisierten die Menschen sich in ihren Gebieten, die immer größer und komplexer wurden. Die Menschen waren keine „Allrounder“ mehr – wie die Jäger und Sammler. Sie teilten ihre Arbeit in bestimmte Berufe auf und handelten mit Waren und Geld.
Die meisten Menschen waren früher Bauer oder Bäuerin. Immer mehr spezialisierten die Menschen ihre Arbeit durch Berufe wie Schmied, Glasmacher, Kürschner, Goldschläger, Werkzeugschmied, Dachdecker, Töpfer, Bader, Ärzte, Buchbinder, Henker, Weber, Tänzer, Schauspieler, Musikanten, Bäcker, Barbiere, Fischer, Hutmacher und viele mehr. Viele Berufe gibt es heute noch, und einige sind verloren gegangen. Denn vor etwa 200 Jahren gab es wieder eine Revolution, die unsere Arbeitswelt auf den Kopf stellte: Die industrielle Revolution.
Die ersten industrielle Revolution: Mechanisierung
In der Agrargesellschaft ist die Bevölkerung stark gewachsen und es gab immer mehr zu tun. Die Menschen arbeiteten viel mit ihren Händen – also im Handwerk. Doch bestimmte Aufgaben wurden immer wieder auf die selbe Art und Weise erledigt. So machten beispielsweise hunderte Menschen die gleichen Handgriffe, um Kleidung herzustellen. Weil die Unternehmen viel Geld für ihre Mitarbeitenden bezahlen mussten, suchten sie nach günstigeren Lösungen. Und so kam es zu der Erfindung von Maschinen, die mit Dampf- und Wasserkraft betrieben wurden. Sie lösten die menschliche Arbeitskraft in vielen Bereichen ab – auch in der Landwirtschaft. Die massenhafte Produktion von Waren, auch „Industrie“ genannt, wurde durch die „Mechanisierung“ revolutioniert. Wenige Unternehmen verdienen mit teuren Maschinen sehr viel Geld – so beginnt der Kapitalismus.
Zu dieser Zeit gehen durch die Industrien Berufe im Handwerk verloren, aber es kommen auch neue hinzu. Viele Menschen sind in die Stadt gezogen, um Arbeit in einer Fabrik zu finden. Aber mit dem Kapitalismus kam die „soziale Frage“ auf: es gab nicht genügend Arbeitsplätze für alle, zu wenige Wohnungen, keine Sozialversicherungen und die Bedingungen zum Arbeiten waren häufig schlecht.
Die zweite industrielle Revolution: Elektrizität und das Fließband
Um das Jahr 1900 werden die Elektrizität und später das Fließband erfunden. Die Menschen müssen sich in der Fabrik nicht mehr viel bewegen und können noch effizienter produzieren, weil die Arbeitsschritte bis ins Detail zerlegt werden. Jeder Handgriff sitzt. Fabriken, die bislang eher willkürlich organisiert waren, folgen nun einer klaren Struktur und Hierarchie (Taylorismus). Die Maschinen laufen Tag und Nacht, sodass die Produktion und die Erzeugnisse günstiger werden. Der Wohlstand in der Gesellschaft nimmt zu und der Handel wird international (Globalisierung). Vor allem die Länder mit einer starken Industrie werden reicher.
Mit den neuen industriellen Möglichkeiten und Organisationsformen verändert sich der Markt nochmal sehr stark. Währen der Abbau von Rohstoffen (Primärsektor) und die Verarbeitung (Sekundärsektor) weiterhin weniger Arbeitskraft benötigen, entstehen mit der Zeit vor allem Berufe für Dienstleistungen (Tertiärer Sektor): Versicherungen, Handel, Medizin, Lehre, Beratung, Banken und mehr.
Die dritte industrielle Revolution: Automatisierung
Im Jahr 1970 beginnt die dritte industrielle Revolution. Den Computer gibt es schon seit 30 Jahren, aber jetzt kommen die ersten „Personal Computer“ zum Einsatz. Unternehmen können jetzt nicht nur komplexe Berechnungen einfach lösen, sondern auch Maschinen steuern und einzelne Arbeitsschritte vollständig automatisieren. Dinge bei denen viele Menschen glauben, dass es sie erst seit wenigen Jahren gibt, waren schon vor einem halben Jahrhundert möglich. Sie lösen häufig die Arbeitsschritte ab, die für Menschen monoton und körperlich anstrengend sind. Aber die Leistung der Technik ist noch relativ gering. Das ändert sich indes in einem exponentiellen Tempo. Ein Beispiel: Der erste Computer der Welt war so groß wie ein Wandschrank und konnte 64 Wörter speichern. Eine Micro-SD-Karte (11x15x1 Millimeter) kann heute 2.199.023.255.552 Wörter speichern. Und das ist nur eines von vielen Beispielen für unglaublich schnellen technologischen Fortschritt.
Der Wohlstand in unserer Gesellschaft nimmt weiter zu. Die Bedingungen am Markt ändern sich, weil es mehr Angebot als Nachfrage gibt. Das heißt die Unternehmen müssen auf Kundenwünsche reagieren, was die Maschinen und starren Organisationformen des letzten Jahrhunderts nicht leisten können. Die Menschen im Unternehmen werden wieder wichtiger als die Maschinen, weil Kreativität, Innovation und Werte gefragt sind.
Die Industrie 4.0: Vernetzung
Die „Industrie 4.0“ ist ursprünglich nur ein Zukunftsprojekt der Bundesregierung, um den Fortschritt aktiv zu gestalten. Denn Deutschland kaufte in den letzten Jahren immer mehr Sachen im Ausland, weil es billiger ist. Und die großen Fabriken können die individuellen Wünsche von Kunden nicht bedienen. Was aber, wenn wir einen 3D-Drucker, autonom fahrende LKW’s und vollständig vernetzte Unternehmen haben? So bestellt eine Kundin ein T-Shirt, welches sie online selbst designed hat und wenige Stunden später per Drohne ausgeliefert bekommt. So ungefähr könnte die Zukunft aussehen, wenn die Wertschöpfungsketten nicht nur automatisiert, sondern auch vollständig vernetzt sind. Aber wo sind die Menschen?
Jemand muss die komplexen Systeme von „Smart Factories“ und die Systeme von Unternehmen programmieren, verstehen, steuern und warten. Aber das wird nicht in allen Bereichen sinnvoll sein. Deswegen werden weiterhin vor allem im Dienstleistungssektor zunehmend viele Arbeitskräfte benötigt. In Deutschland wird die Gesellschaft immer älter, sodass wir ohnehin wenige arbeitende Menschen haben werden. Wir brauchen Lehrkräfte, Pflegepersonal, Personal im Handwerk, IT-Fachkräfte und viele mehr.
Ist dir das Tempo des Fortschritts aufgefallen?
Nochmal im Überblick: Die Jäger und Sammler lebten mindestens 2.000.000 Jahre lang ein einfaches Leben, bis vor 12.000 Jahren die neolithische Revolution kam. Das sind 99% der Menschheitsgeschichte. Und vor etwas mehr als 200 Jahren kam die erste industrielle Revolution. Da sind dann schon 99,99% der Menschheitsgeschichte vergangen, obwohl der organisatorische Fortschritt jetzt erst richtig Fahrt aufnimmt. Vor etwa 100 Jahren kam die zweite und vor 50 Jahren die dritte industrielle Revolution, mit der sich wieder einmal alles verändert. Erinnere dich kurz daran, wie schnell sich die Welt in dieser kurzen Zeit verändert hat. Deine Großeltern haben ein völlig anderes Leben geführt als du es heute tust – so etwas gab es in der Menschheitsgeschichte noch nie. Und heute erleben wir die vierte industrielle Revolution. Wie geht es weiter? Was ist der logische nächste Schritt?
Wie sieht die Arbeitswelt von Morgen aus?
Eines können wir festhalten: Die Welt verändert sich bis heute immer schneller und die Arbeitswelt mit ihr. Keine Generation zuvor, durfte so viel Innovation erleben wie wir. Aber eine seriöse Aussage über die Arbeitswelt von Morgen zu treffen, ist in einer so komplexen Welt nur zum Teil möglich. Wir wissen nicht, ob es wirklich jemals starke künstliche Intelligenzen geben wird, welche bahnbrechenden Erfindungen uns noch erwarten und welche Folgen der schnelle Fortschritt hat.
Menschen entwickeln zum Arbeiten Werkzeuge, Landwirtschaft, Maschinen, Elektrizität, Fließbänder, Computer und intelligente Systeme – sie sind die treibende Kraft des Fortschritts. Wir als Gesellschaft entscheiden heute, ob wir Kreuzfahrtschiffe oder fliegende Autos brauchen. Und die Arbeitskräfte von morgen erfinden Dinge, die wir heute noch nicht kennen. In unseren Workshops zur Berufsorientierung junger Menschen löst diese Ungewissheit häufig Angst aus. Das wird in mancher Hinsicht berechtigt sein. Aber weil Menschen auf schlechte Nachrichten eher stärker als auf positive Nachrichten reagieren („Negativity Bias“), möchte ich abschließend das Königlich-Bayerische Medizinalkollegium aus dem Jahr 1835 zitieren, die mit ihren negativen Erwartungen zur neuen Erfindung – der Eisenbahn – glücklicherweise völlig daneben lag:
„Ortsveränderungen mittels irgendeiner Art von Dampfmaschinen sollen im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten sein. Die raschen Bewegungen können nicht verfehlen, bei Passagieren die geistige Unruhe, “delirium furiosum” genannt, hervorzurufen. Selbst zugegeben, dass Reisende sich freiwillig der Gefahr aussetzen, muss der Staat wenigstens die Zuschauer beschützen, denn der Anblick einer Lokomotive, die in voller Schnelligkeit dahinrast, genügt, um diese schreckliche Krankheit zu erzeugen. Es ist daher unumgänglich nötig, dass eine Schranke, wenigstens sechs Fuß hoch, auf beiden Seiten der Bahn errichtet werde.” [3, W. Schievelbusch (2000) S. 10]
Quellen
[1]: Sascha Staubach (2017): Woher wissen wir, wie alt die Erde ist? [Link]
[2]: Andreas Wengel, SWR (2019): Ursprung des Menschen [Link]
[3]: W. Schievelbusch (2000): Geschichte der Eisenbahnreise: Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19.Jahrhundert, S. 10